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Stand 15.02.2017

Anregung für "Spur der Tränen" war der Sachverhalt, der der Revisionsentscheidung BGHSt 45, 158 zugrunde lag und einen besonders anschaulichen Fall von Menschenhandel zum Gegenstand hatte.

Rechtliche Hintergründe zum Menschenhandel

Aufenthaltsgesetz (AufenthG)
Vorschriften zum EU-Opferschutz-Aufenthaltstitel für Opfer von Menschenhandel:
§§ 25 IVa, 26 I, 52 V AufenthG

Strafgesetzbuch (StGB), Vorschriften zum Menschenhandel: §§ 232-233a StGB

EU-Opferschutzrichtlinie RL 2004/81/EG über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren (ABl. EU L 261/19): Aufenthaltstitel für drittstaatsangehörige Opfer von Menschenhandel, die den Kontakt zum Täter abgebrochen haben und gegen die Täter als Belastungszeuginnen aussagen

EU-Richtlinie RL 2011/36/EU vom 05.04.2011 zur Bekämpfung des Menschenhandels, zum Schutz der Opfer und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der EU 2002/629/JI, ABl.-EU L 101/1 vom 15.04.2011 - Ablauf der Umsetzungsfrist 05.04.2013

EU-Asylverfahrensrichtlinie RL 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren über die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl.-EU L 180/60 vom 29.06.2013, in Kraft getreten 19.07.2013

EU-Aufnahmerichtlinie RL 2013/33/EU
zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, ABl.-EU L 180, 96 vom 29.06.2013, in Kraft getreten 19.07.2013

Charta der Grundrechte der EU
, Art. 5 III

Aktuelles

1. EU-Richtlinie RL 2011/36/EU

Die EU-Richtlinie RL 2011/36/EU vom 05.04.2011 zur Bekämpfung des Menschenhandels, zum Schutz der Opfer und zur Ersetzung des Rahmenbeschlussesdes Rates der EU 2002/629/JI (ABl.-EU L 101/1 vom 15.04.2011) regelt Vorgaben zur Definition des Menschenhandels, zu Mindestanforderungen an die Strafverfolgung sowie Betreuung und Schutz von Opfern. Die RL gilt in allen EU-Staaten mit Ausnahme von Dänemark und Großbritannien.

Die RL 2011/36/EU ersetzt seit 15.04.2011 den früheren EU-Rahmenbeschluss und geht deutlich über die dortigen Vorgaben hinaus. Neben der bereits im EU-Rahmenbeschluss genannten sexuellen Ausbeutung und Ausbeutung der Arbeitskraft wird jetzt als Unterfall der Arbeitsausbeutung die Ausbeutung für Betteltätigkeiten besonders genannt und zusätzlich der Menschenhandel zur Organentnahme mit aufgenommen (Erwägungsgrund (11) der RL).

Art. 2 I der RL verpflichtet die EU-Staaten, folgende Handlungen als Straftatbestand zu erfassen: Die
- Anwerbung,
- Beförderung,
- Verbringung,
- Beherbergung
- oder Aufnahme von Personen,
einschließlichÜbergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Person
durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über eine andere Person hat, zur Ausbeutung.

Nach Art. 2 II der RL liegt eine besondere Schutzbedürftigkeit vor, wenn die betreffende Person keine wirkliche oder für sie annehmbare andere Möglichkeit hat, als sich dem Missbrauch zu beugen.

Ausbeutung umfasst nach Art. 2 III der RL mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen der sexuellen Ausbeutung, Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen, einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei, oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme.

Das Einverständnis des Opfers mit der Ausbeutung ist nach Art. 2 IV der RL unerheblich, wenn eines der in Art. 2 I der RL genannten Tatmittel vorliegt. Einen besonderen Schutz auch in Fällen ohne die in Art. 2 I der RL aufgezählten Tatmittel sieht Art. 2 V, VI der RL für Personen unter 18 Jahren vor.

Art. 4 der RL legt bestimmte Mindestmaße für die Strafandrohungsobergrenzen im innerstaatlichen Strafrecht der EU-Staaten fest, Art. 8 der RL schreibt die Straffreiheit für Opfer im Hinblick auf Straftaten vor, zu deren Begehung sie sich gezwungen sehen, weil sie den in Art. 2 der RL genannten Taten ausgesetzt sind.

Nach den Erwägungsgründen Nr. (17)-(21) der RL 2011/36/EU soll die RL neben der Strafverfolgung der Tatverdächtigen auch die Gewährleistung von Schutz und Unterstützung der Opfer regeln, unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Daher sieht Art. 11 RL 2011/36/EU vor, Opfern von Menschenhandel Unterstützung und Betreuung zu gewähren, die nicht von der Bereitschaft zur Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden abhängig gemacht werden darf (Art. 11 III der RL). Die Betreuung von Opfern mit besonderen Bedürfnissen infolge der Möglichkeit einer Schwangerschaft oder auf Grund gesundheitlicher Gründe wird besonders hervorgehoben (Art. 11 VII der RL).

Art. 12 II der RL schreibt vor, den Opfern Zugang zu einer Rechtsberatung zu ermöglichen, um Entschädigungsansprüche gegen die Täter durchzusetzen. Die Rechtsberatung hat für Opfer, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, unentgeltlich zu erfolgen.

Nach Art. 12 III der RL ist sicherzustellen, dass Opfer auf Grundlage einer individuellen Risikoeinschätzung geschützt werden. Darin eingeschlossen ist der Zugang zu Zeugenschutzprogrammen oder vergleichbaren Schutzmaßnahmen.

Nach Art. 12 IV der RL ist sicherzustellen, dass unter Wahrung der Rechte der Strafverteidiger das Risiko einer sekundären Viktimisierung zu vermeiden ist. Hervorgehoben wird die Vermeidung von
- nicht erforderlichen Wiederholungen von Vernehmungen,
- Sichtkontakt zwischen Opfer und Beschuldigtem in Vernehmungssituationen,
- Zeugenaussagen in öffentlichen Gerichtsverhandlungen und
- nicht erforderlichen Fragen zum Privatleben des Opfers.

Mehr als drei Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist wurde die RL durch den deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des BZRG sowie des SGB VIII vom 11. Oktober 2016, BGBl. I 2226 vom 14.10.2016 - in Kraft getreten 15.10.2016.

Durch das Umsetzungsgesetz wurden §§ 232-233a StGB neu gefasst. Die verfahrensrechtlichen Vorschriften der RL finden sich weder in der StPO noch in den RiStBV wieder.

2. Verlängerung der Ausreisefrist durch Zweites RL-Umsetzungsgesetz 2011

Auf Grund des Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Vorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (BGBl. I 2258 v. 25.11.2011) - in Kraft getreten am 26.11.2011 - werden die Regelungen zur Zurückschiebung und Abschiebung an die EU-Rückführungsrichtlinie angepasst. Dabei wurde die in Umsetzung der in der EU-Opferschutzrichtlinie RL 2004/81/EG vorgeschrieben Erholungs- und Bedenkzeit  in der Neuregelung nach § 59 VII Satz 2 AufenthG als Ausreisefrist von mindestens drei Monaten vorgesehen (früher mindestens ein Monat nach § 50 IIa AufenthG alter Fassung).

Unverändert ist es zweifelhaft, die Erholungs- und Bedenkzeit im Sinne des Art. 6 RL 2004/81/EG als Ausreisefrist (und damit als schwächsten Aufenthaltsstatus) umzusetzen. Von der Intention der RL her ist diese auf psychische Stabilisierung des - in vielen Fällen traumatisierten - Opfers und Vorbereitung auf die Rolle als Zeugin gerichtet. Beispiele für die schwere Gewalterfahrung und Viktimisierung der Opfer finden sich z.B. in
- BGHSt 45, 158 ("Platzmänner"-Fall),
- BGH NStZ-RR 2007, 46 ("Subotnik"-Fall),
- EGMR NJW 2007, 41 ("Sklaverei"-Fall),
- BKA-Lageberichte.
Der Status während der Ausreisefrist ist dafür nicht geeignet. Alternativ wäre denkbar gewesen, diese Erholungs- und Bedenkzeit als Erlaubnisfiktion nach Art von §§ 25 I Satz 3, 81 III AufenthG zu regeln und damit einen sofort eintretenden legalen Aufenthaltsstatus zu schaffen.

Im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz wurde mit § 10a SchwArbG die Beschäftigung von Opfern von Menschenhandel unter Ausnutzung deren Lage als neuer Straftatbestand geregelt.

3. EU-Rückführungsrichtlinie: Kein Einreiseverbot für Opfer

Die EU-Rückführungsrichtlinie RL 2008/115/EG (ABl.-EU L 348/98) bestimmt in Art. 11 III Satz 2, dass gegen Opfer von Menschenhandel, denen ein Aufenthaltstitel nach der EU-Opferschutzrichtlinie RL 2004/81/EG erteilt wird, im Falle der Aufenthaltsbeendung kein Einreiseverbot nach Art. 11 I der RL verhängt werden. Eine Umsetzung in § 11 AufenthG ist bisher nicht erfolgt.

4. EU-Asylverfahrensrichtlinie RL 2013/32/EU
und Aufnahmerichtlinie RL 2013/33/EU


Gem. Art. 24 RL 2013/32/EU und Art. 2 k), 21 RL 2013/33/EU sind Asylsuchende und Internationalen Schutz Suchende, die besondere Verfahrensgarantien benötigen und mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme besonders zu berücksichtigen. Besonders schutzbedürftig in diesem Sinne sind gem. Art. 22 RL 2013/33/EU u.a.
- Minderjährige,
- Opfer von Menschenhandel,
- Opfer von Vergewaltigung oder anderer schwerer sexueller Gewalt. Flughafenverfahren (Art. 31 VIII RL 2013/32/EU, § 18a AsylG) und beschleunigte Verfahren sind in diesen Fällen nur eingeschränkt zulässig.

Die RL'n sind am 19.07.2013 in Kraft getreten. Trotz Ablaufs der zweijährigen Umsetzungsfrist Mitte 2015 sind die RL'n noch nicht umgesetzt worden.

Stand 15.02.2017



 
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